
Ingo Thiel
Er war eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Polizeidienst. Ein Ermittler mit Ausdauer, Haltung und einem Versprechen, das er nie brach: Wir finden ihn. Am Freitag, den 18. Juli 2025, ist Kriminalhauptkommissar Ingo Thiel nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 62 Jahren zu Hause im Kreis seiner Familie verstorben.
Mit ihm verliert die Kriminalpolizei nicht nur einen Kollegen, sondern eine Figur, die bundesweit zu einem Gesicht für Beharrlichkeit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit wurde. Viele kannten ihn spätestens seit dem Fall Mirco jenem spektakulären Kindermord aus dem Jahr 2010, der die Nation erschütterte. Thiel war es, der sich mit einer über 80 köpfigen Sonderkommission fast fünf Monate lang durch Berge an Spuren, Daten und Hinweisen kämpfte, bis der Täter gestellt wurde.
„Wir kriegen ihn.“ Und er hielt Wort.
Am 3. September 2010 verschwand der zehnjährige Mirco aus Grefrath. Eine der größten Suchaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik begann mit Tornado Jets, Hundertschaften, Ferngläsern, Drohnen, Mobilfunkdaten. Mittendrin: Thiel. Bärtig, ruhig, bestimmt. Der Kommissar, der den Eltern versprach, ihr Kind zu finden lebend oder tot.
Nach 146 zermürbenden Tagen, über 9.900 Hinweisen und unzähligen Stunden Spurenauswertung war es so weit: Der Täter gestand. Und Thiel weinte. „Nicht aus Schwäche“, sagte er später. „Sondern, weil ich mitgefühlt habe. Mirco hätte mein Sohn sein können.“
Sein Spitzname bei Kollegen: „Der Terrier“ einer, der sich festbeißt und nicht mehr loslässt. Doch wer Ingo Thiel nur als hartnäckigen Ermittler kannte, kannte nur die halbe Wahrheit.
Ein Ermittler mit Seele
Geboren um 1963, war Thiel über 30 Jahre lang bei der Polizei Mönchengladbach tätig. Seine Bilanz: eine Aufklärungsquote von nahezu 100 % bei allen Fällen, die er selbst leitete darunter auch zahlreiche weitere Tötungsdelikte, Missbrauchsfälle und grausame Gewalttaten, die ihn emotional tief trafen.
Er war kein Mann für Schreibtische. Er war einer, der Familien Trost spendete, der Täter zur Strecke brachte und der seine Seele in den Dienst stellte. Öffentlich wurde er auch durch Buchveröffentlichungen, Interviews und durch die Verfilmung des Falls Mirco im ZDF mit Heino Ferch in der Rolle Thiels („Ein Kind wird gesucht“, 2017).
„Ich bin Ermittler geworden, um Gerechtigkeit zu bringen“, sagte er einmal. „Nicht nur Paragrafen.“
Ein Leben für die anderen
In den letzten Jahren arbeitete Thiel bei der Polizei in Viersen und engagierte sich darüber hinaus für soziale Zwecke . Er spielte mit dem Gedanken, politisch aktiv zu werden, sogar eine Bürgermeisterkandidatur stand im Raum. Sein plötzlicher Tod am vergangenen Freitag kam für viele überraschend. Nur wenige wussten von seiner Krankheit.
Ein Versprechen bleibt
Es gibt Menschen, die sich unvergessen machen nicht durch Lautstärke, sondern durch Konsequenz. Ingo Thiel war so einer. Sein Blick war ruhig, sein Ton verbindlich, sein Ziel kompromisslos: Wahrheit. Seine Fälle, sein Engagement, seine Tränen haben ein Bild des modernen Polizisten geprägt integer, empathisch, entschlossen.
Er hinterlässt seine Ehefrau, zwei Kinder und eine Gesellschaft, der er gezeigt hat, dass Menschlichkeit und Ermittlungsarbeit sich nicht ausschließen, sondern bedingen.
Ingo Thiel ist tot. Aber sein Versprechen lebt.